Sommertheater (Folge drei): Komödien im Bayerischen Hof und Blutenburg-Theater – Ein Mord, zwei Erkenntnisse

von Barbara Teichelmann

"Die Falle" zelebriert Mord als Gesellschaftsspiel: Daniel (Christopher Krieg), die falsche Ehefrau (Verena Wengler) und der zuständige Kommissar (Karl-Heinz von Hassel), Foto: Helmut Seuffert

Noch bevor der Vorhang aufgeht, wird schon munter gekichert. Es ist aber auch lustig, wenn man aufgefordert wird, das Handy auszuschalten. Als der Vorhang dann endlich zur Seite rauscht, hebt ein begeistertes Lachgebrause an, warum wird allerdings nicht ganz klar. Vielleicht liegt es ja an dem Mann auf dem Sofa. Ist das etwa schon die Leiche?

Nein, das ist nur der Daniel (Christoph Krieg). Er schläft, trägt das Haar verwuschelt und das Hemd offen, was natürlich gut ankommt, vor allem bei Theaterbesuchern mit zwei X-Chromsomen. Das männliche Publikum geht das Ganze etwas nüchterner an: „Einen Fetznrausch hat der“ stellt einer für alle hörbar fest. Erneutes Gekicher. Und richtig, auf dem Tisch vor dem Sofa stehen jede Menge leere Flaschen.

Eine Falle im Bayerischen Hof

Der verwuschelte Daniel ist völlig runter mit den Nerven und muss soviel trinken, weil seine junge, schöne, vermögende Frau Elisabeth verschwunden ist. Einfach so, von heute auf morgen. Und schon ist es passiert, schon tut er den Damen leid. „Och, der Arme“, flötet es aus dem Zuschauerraum und klaro wird wieder kräftig gekichert. Ein Mann, der seine Ehefrau vermisst, wenn sie nicht da ist – das ist aber auch liebenswert. Na gut, sie sind erst drei Monate verheiratet, aber trotzdem. Frischverliebt. Ach ja.

Wer in die Komödie am Bayerischen Hof geht, tut das mit dem festen Willen, sich zu amüsieren: Ein anständiger Mord mit Promibesetzung, und in der Pause trinkt man einen Kir Royal. Das Konzept scheint aufzugehen, denn trotz der Affenhitze ist das Theater so gut wie voll, und die Kriminalkomödie „Die Falle“ des französischen Theaterautors Robert Thomas sorgt den ganzen Abend für ausgelassene Stimmung, teils unfreiwillig humoristische Zwischenrufe („Doch, er hat angerufen“) und aufgeregte Pausendiskussionen. „Also diese Rothaarige gefällt mir gar nicht. Spielt die ein falsches Spiel?“ Der Ehemann im Anzug schweigt, schaut und trinkt sein Bier. Aber so einfach kommt er nicht davon: „Sag, was meinst Du?“ So direkt in die Enge getrieben, tut er das einzig richtige und antwortet diplomatisch: „Mir gefällt sie auch nicht.“

Die Geschichte ist aber auch verzwickt, denn plötzlich taucht die verschwundene Ehefrau wieder auf. Doch anstatt, dass sich der Daniel freut, muss er immer mehr trinken und immer noch verzweifelter rumschreien, weil die Rothaarige (Verena Wengler) zwar eine Frau, aber nicht die seine ist. Behauptet er. Der Kommissar (Karl-Heinz von Hassel) erträgt das ganze Theater mit auffällig viel Contenance und gegen Ende gibt es einen fiesen Twist, und es wird klar, dass der aparte Daniel seine Frau nicht nur kleine Tode hat sterben lassen, sondern ihr auch den großen besorgt hat. Also so was.

Die Enttäuschung ist groß und manifestiert sich in äußerst emotionalen Buh-Rufen des weiblichen Publikums, die sich immer dann in den begeisterten Schlussapplaus mischen, wenn Christoph Krieg, also Daniel, sich verbeugt. Da ist man am Ende des Abends fast schon wieder zufrieden mit dem eigenen Ehemann. Der hat zwar keine verwuschelten Haare, und wenn er das Hemd offen trägt, ist es irgendwie auch nicht dasselbe, aber man ist immerhin noch am Leben.

Die Verbrechen im Bayerischen Hof haben mindestens so viel Stil wie die überteuerten Antiquitäten in den Schaufenstern gegenüber der Eingangstür. Hier wird mit Goldrand gemordet, aber ohne Blut, und wenn mal einer schießt, dann fällt zwar jemand um, aber eigentlich geht es eher um den Knalleffekt.

Im Blutenburg-Theater geht's drastischer zu

Kampfszene aus "Extremities": Marjorie (Julia Lowack) besiegt ihren Peiniger (Wolfgang Haas), Foto: Volker Derlath

Weitaus weniger gesellschaftsfähig geht es im Blutenburg-Theater zu, hier wird dem Publikum gleich in den ersten zehn Minuten einiges abverlangt: Es fallen Wörter wie „ficken“ und „Schlampe“, es wird gekämpft, geschrien und beinahe vergewaltigt. Dabei hätte man gewarnt sein können, immerhin heißt das Stück des US-Dramatikers William Mastrosimone „Extremities – bis zum Äußersten“ und auf der Homepage des Theaters steht groß und deutlich zu lesen: „Frei ab 16 Jahren.“ Aber marketingverdorben und werbungsgestählt werden solche Hinweise natürlich nicht ernst genommen, und bloß weil „Vorsicht“ draufsteht, muss noch lange kein Psychothriller drin sein.

Hier ist es aber so: Marjorie (Julia Lowack) ist allein daheim, bekommt Besuch von einem durchgeknallten Triebtäter (Wolfgang Haas), der versucht sie zu vergewaltigen, doch sie fesselt und quält ihn. Als ihre zwei Mitbewohnerinnen (Katrin Klewitz und Erika Čeh) nach Hause kommen, geht das Drama erst richtig los. Jetzt wird diskutiert, ob man die Polizei rufen soll, oder die Strafe gleich selbst besorgt und ihn anschließend im Garten begräbt, dazu kommen private Streitereien der Frauen untereinander. Kurz vor knapp siegt dann doch noch der Rechtsstaat, und die Polizei darf kommen.

Ziemlich krasse Story und krass fallen auch die Reaktionen der einigermaßen geschockten Zuschauer aus. „Was würdest Du mit ihm machen?“ ist die grüppchenweise heftig diskutierte Pausenfrage. „Ich hätte dem Schwein so in die Eier getreten.“ meint eine Frau zu ihrer Freundin. „Naja,“ ein Mann mit Ehering und Bauch sieht die Problematik etwas sachlicher „es ist eine schwierige Situation, weil man die Verletzungen sieht, die sie dem Täter zugefügt hat. Aber sie steht dumm da, sie hat keine Beweise oder Zeugen für die versuchte Vergewaltigung, und wenn sie die Polizei ruft, dann kommt bestimmt ein Mann und der hat dann eher Verständnis für den Täter, weil er sich denkt: Das könnte mir ja auch passieren.“ Hoppla. Die dazugehörige Ehefrau schaut kurz zu ihrem Mann und dann zur Seite.

Manchmal geht das Theater während der Pause weiter, nur dass es dann kein Theater ist und man völlig neue Aspekte im vermeintlich Bekannten entdecken kann. Zum Beispiel im eigenen Ehemann. Es kann also sein, dass man am Ende des Abends mit einem völlig fremden Menschen an der Seite nach Hause spaziert, ohne dass man jemand Neuen kennen gelernt hätte. Oder man sich selbst nicht mehr kennt. Da kann man schon ein bisschen Angst bekommen, weniger vor dem, was da auf der Bühne passiert, sondern vor dem, was das auf der Bühne mit uns und den anderen anstellen kann. Das ist echt gruselig.

"Die Falle" läuft noch bis zum 3. September 2011 in der Komödie im Bayerischen Hof; "Extremities – bis zum Äußersten" noch bis zum 1. Oktober 2011 im  Blutenburg-Theater.

 

Veröffentlicht am: 30.08.2011

Über den Autor

Barbara Teichelmann

Redakteurin

Barbara Teichelmann ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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